Stationäre Beobachtung

Datenerhebungsmethode (qualitativ)

Ziel der Methode

Das Ziel der Stationären Beobachtung ist die Analyse der Interaktionen zwischen den Verkehrsteilnehmenden und dem Umgang mit bestehenden Infrastrukturen bzgl. des Bauwerkes (z. B. Bodenbelag), des Betriebs (z. B. Schilder und Ampel) und der Infrastrukturdefizite (z. B. endender Radweg). Es wird untersucht, ob Konflikte entstehen und wie sie ggf. gelöst werden. Konkret wird durch die Methode der Beobachtung ein Verhalten, Handeln und symbolisches Interagieren von Menschen in einfachen oder komplexen Verkehrssituationen analysiert. Das Videomaterial der Untersuchung kann für die Visualisierung von Problemlagen gegenüber Verwaltung und Politik genutzt werden.

Datengrundlage

Die Wahl des Untersuchungsortes ergibt sich aus den polizeilichen Unfallstatistiken, Unfalldaten und anderen Umfragen (subjektiven Daten zu Gefahrenbereichen) sowie aus den Hinweisen vorangegangener Diskussionen (siehe Fokusgruppen). Zusätzlich sollten bei der Auswahl aktuelle Umbaupläne berücksichtigt werden.

Sample

Auswahl von Untersuchungsorten über das gesamte Stadtgebiet unter Berücksichtigung verschiedener Situationen im Verkehrssystem.

Vorgehensweise

  1. Untersuchungsort auswählen.
  2. Zeiten der Beobachtung auswählen, mit dem Ziel einer gesamtheitlichen Erfassung der Ortes aus verschiedenen Perspektiven/Tageszeiten.
  3. Am Tag der Beobachtung zwei Kameras an zwei verschiedenen Stellen des Untersuchungsortes positionieren.
  4. Die verkehrstechnische Situation am Untersuchungsort erfassen.
  5. Das Geschehen mit mindestens zwei Personen beobachten. Diese Personen führen Protokoll über (potenzielle) Konflikte und Regelbrüche.
  6. Die Daten auswerten, kategorisieren und kontextualisieren. (Welche Verkehrsregel wurde am häufigsten missachtet? Warum?)
  7. Maßnahmen erarbeiten auf Grundlage anerkannter Empfehlungen zur (Um-)Gestaltung von Knotenpunkten, oder Straßen für den Fuß- und Radverkehr.

Eine ausführliche Beschreibung zum Vorgehen finden sie im Handlungsleitfaden.

Zu beachten

  • Stationäre Beobachtungen sollen an unterschiedlichen Tageszeiten und Tagen durchgeführt werden. Dennoch können nicht alle Konflikte und Regelbrüche erfasst werden.
  • Eigene Perspektiven und Sichtweisen sollen nicht in die Beobachtung und deren Analyse einfließen.
  • Die multiple Aufnahmefähigkeit bei Beobachtungen ist beschränkt, jedoch können Videoaufzeichnungen diesem Punkt entgegengenwirken.

Einblicke in die Praxis

Auswahl der Untersuchungsorte

Gefährlichen Kreuzungen können mithilfe von Unfalldaten der Polizei ausgewählt werden. Dafür können die kommunalen Polizeibehörden angefragt werden oder Daten aus dem interaktiven Unfallatlas entnommen werden (vgl. Statistische Ämter des Bundes und der Länder 2021). Die Datensätze enthalten Informationen zur Anzahl, Schwere der Verletzung und Verkehrsmittel der Unfallbeteiligten. Es kann dargestellt werden, welche Kreuzung die absolut höchste Anzahl an Unfällen allgemein und an Unfällen mit Radfahrenden oder Zufußgehenden aufweist. Durch die Verschneidung mit den DTV-Daten zu Verkehrsmengen der Kreuzungsarme lässt sich auch darstellen, wie viele Unfälle relativ zur Durchfahrtsmenge an Kfz-Verkehr geschehen. Unfallschwerpunkte können auch für einzelne Verkehrsmittel dargestellt werden.

In der Tabelle wird die Statistik zu durchschnittlich polizeilich erfassten Verkehrsunfällen pro Jahr in den Jahren 2013 bis 2017 dargestellt. In der ersten Spalte werden die absolut unfallträchtigste Kreuzungen im Untersuchungsraum Innenstadtrandgebiet von Berlin-Pankow aufgeführt. Dies sind die Kreuzungen Indira-Gandhi-Straße Ecke Berliner Allee mit 32,2 Unfällen pro Jahr, Am Steinberg Ecke Prenzlauer Promenade Ecke Thulestraße mit 31,4, Buschallee Ecke Berliner Allee mit 31,4, Am Steinberg Ecke Preunelstraße mit 20,4 und Blankenburger Straße Ecke Dietzgenstraße mit durchschnittlich 20 Verkehrsunfällen pro Jahr. In der zweiten Spalte werden die relativ unfallträchtigsten Kreuzungen in Bezug zur gemessenen Autoverkehrsmengen an den Kreuzungen dargestellt. Dies sind die Heinrich-Mann-Straße Ecke Hermann-Hesse-Straße mit durchschnittlich 0,0005 Unfällen pro Jahr je durchgefahrene Tages-Kfz-Verkehrsmenge,Provinzstraße Ecke Straße von Schönholz mit 0,00046, Buschallee Ecke Berliner Allee mit 0,00045, Blankenburger Straße Ecke Dietzgenstraße mit 0,00042 und Indira-Gandhi-Straße Ecke Berliner Allee mit 0,00041 Unfällen pro Jahr je durchgefahrener Tages-Kfz-Verkehrsmenge. In der dritten und letzten Spalte werden die absolut unfallträchtigste Kreuzungen für Radfahrende dargestellt. Hier werden Unfälle mit beteiligten Radfahrenden aufgeführt. Dies sind im Innenstadtrandgebiet die Heinrich-Mann-Straße Ecke Hermann-Hesse-Straße mit 6 Unfällen mit Radfahrendenbeteiligung pro Jahr, Hermann-Hesse-Straße Ecke Güllweg Ecke Waldstraße mit 3,2, Blankenburger Straße Ecke Dietzgenstraße mit 3, Greifswalder Straße Ecke Gürtelstraße Ecke Lehderstraße Ecke Berliner Allee mit 2,4 und Rennbahnstraße Ecke Roelckestraße mit 2 Unfällen mit Radverkehrsbeteiligten pro Jahr.
Die fünf unfallträchtigsten Kreuzungen in den Innenstadtrandgebieten von Berlin-Pankow 2013-2017, absolut, relativ und für Fahrradfahrende

Ein weiteres Auswahlkriterium von Kreuzungen bildet die Anzahl an Meldungen zu subjektiven Darstellungen von Gefahrensituationen. Diese können z. B. über Gefahrenmelder oder über städtische Online-Beteiligungsplattformen gesammelt werden (vgl. Tagesspiegel 2018). Auf diese Weise kann eine erste Gegenüberstellung subjektiver Gefahrenwahrnehmungen und objektiver Unfalldaten vollzogen werden.

Kartenausschnitt des Bezirks Pankow. Dargestellt sind das Straßennetz, Wohnflächen, Grünflächen und Brachflächen. Entlang der Straßen sind Abbiegeunfälle aus polizeilichen Unfalldaten von 2012 – 2014 mit Radverkehrsbeteiligung eingezeichnet sowie Knotenpunkte, die im Rahmen eines Beteiligungsverfahren 2013 als gefährlich gemeldet wurden. Die Anzahl der Unfallstellen ist dabei deutlich höher als die der gemeldeten Punkte. Letztere konzentrieren sich vor allem auf Knoten zwischen Hauptverkehrsstraßen, während das tatsächliche Unfallgeschehen auch zwischen großen Knotenpunkten stattfindet. Es liegt eine deutliche Häufung von Konflikt- und Unfallstellen im Süden Pankows vor. Viele der Abbiegeunfälle sind an Hauptverkehrsstraßen.
Vergleich von objektiven Unfalldaten und subjektiven Gefahrenmeldungen in Pankow 2013 von der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt

Beobachtungsprotokoll

In der Tabelle werden die untersuchten Eigenschaften von Konflikten der stationären Beobachtung dargestellt. Die erste Eigenschaft, die auf dem Erfassungsbogen aufgeführt ist, sind Ort und Zeit der Beobachtung. Als nächstes werden drei inhaltliche Konfliktkategorien aufgeführt, in die der beobachtete Verkehrskonflikt eingeordnet wird: Es ist entweder ein Konflikt wegen Nichtbeachtung der StVO z. B. wenn Radfahrende auf dem Gehwegfahren oder ein Konflikt aufgrund der Verkehrsinfrastruktur z. B. durch bauliche oder betriebliche Mängel sowie Verkehrslücken oder es sind andere Konflikte, die nicht eine der beiden Ursachen hat. Auch anderweitige, untersuchungsrelevante Beobachtungen können dort aufgeführt werden. Bei der Einordnung des Konflikts soll für diese Eigenschaft aufgeführt werden, welche Verkehrsmittel die Konfliktbeteiligten nutzen, welcher Konflikt aufgetreten ist und wie er gelöst wurde. In einer weiteren Spalte können erste Kontextinformationen und theoretische Einordnungen zu den Rahmenbedingungen des Konflikts aufgeführt werden, die bereits bei der Erfassung erkannt und zugeordnet wurden. In der letzten Spalte des Beobachtungsbogens ist Platz für eine Selbstreflexion in der Konflikterfassung, bei den Zusammenhänge und mögliche Handlungskonsequenzen aufgeführt werden können.
Das Beobachtungsprotokoll hilft bei der strukturierten Erfassung unterschiedlicher Verkehrssituationen an der Kreuzung.

Praxisausschnitt

Das folgende Beispiel beschreibt beobachtete Konflikte, die an der Kreuzung Danziger Straße / Greifswalder Straße in Berlin-Pankow gemacht wurden. Es wurden dabei Konflikte in drei Typen von Ursachen unterschieden: die mangelnde Verkehrsinfrastruktur, Reaktionen auf den Verkehrsfluss und das individuelle Einhalten der StVO.

Die Karte stellt den Aufbau der Kreuzung Greifswalder Straße / Danziger Straße dar. Dabei handelt es sich um einen großen Knotenpunkt mit je mindestens drei Fahrstreifen je Richtung und Tram-Verkehr. Die aufgetretenen Konflikte wurden in der Karte nach ihrer genauen Lage und der Art der Konflikte eingetragen. So sind besonders kritische Bereiche der Kreuzung und häufige Konfliktursachen leicht ersichtlich. Es gibt drei Arten von Konflikte: das Einhalten der Straßenverkehrsordnung, die nicht angemessene Verkehrsinfrastruktur oder Probleme im Verkehrsfluss.
Aufbau der beobachteten Kreuzung Greifswalder Str. / Danziger Str.
Die Karte stellt den Aufbau der Kreuzung Greifswalder Straße / Danziger Straße dar. Dabei handelt es sich um einen großen Knotenpunkt mit je mindestens drei Fahrstreifen je Richtung und Tram-Verkehr. Die aufgetretenen Konflikte wurden in der Karte nach ihrer genauen Lage und der Art der Konflikte eingetragen. So sind besonders kritische Bereiche der Kreuzung und häufige Konfliktursachen leicht ersichtlich. Es gibt drei Arten von Konflikte: das Einhalten der Straßenverkehrsordnung, die nicht angemessene Verkehrsinfrastruktur oder Probleme im Verkehrsfluss.
Protokoll der beobachteten Konflikte Kreuzung Greifswalder Str. / Danziger Str.

Infrastruktur

  • Kaum Aufstellfläche für den linksabbiegenden Radverkehr im Straßenraum vorhanden.
  • Auf schmalen Mittelinseln an der Kreuzung stehen Lastenräder durch ihre Länge bis in den Kreuzungs- bereich.
  • Zu wenig Platz in den Fußgängerwartebereichen an der Ampel für gleichzeitig überquerende Schüler*in- nen (teilweise mit Fahrrad) und Aussteigende aus der Tram.
  • Häufig konfliktträchtige Interaktionen von Fahrrad- fahrenden mit rechtsabbiegenden Autofahrenden aus der Danziger Straße nach der Greifswalder Straße: Links/rechts überholen, Fahrstreifen- wechsel, dahinter warten.

Verkehrsfluss

  • Mittags bei weniger Autoverkehr ordnen sich Fahrradfahrende auf dem linken Fahrstreifen vor der Ampel in der Greifswalder Straße ein, um direkt links auf die Greifswalder Straße Richtung Norden abzubiegen, anstatt für das indirekte Abbiegen warten zu müssen.
  • Viele Radfahrende fahren insbesondere morgens und abends auf Fußwegen und Fußgängerfurt an der Kreuzung, um den Stau auf der Fahrbahn zu umgehen.

StVO

  • Abbiegende Fahrzeuge nehmen Personen auf Fußgängerfurt den Vorrang.
  • Radfahrende fahren auf den Gehwegen und/oder entgegengesetzt der Fahrrichtung.
  • Falsch eingeordnetes Fahrzeug blockiert bei Spurwechsel die Fahrbahn.
  • Einsatz von Hupe, um Druck auf wartende Fahrzeuge auszuüben.
  • Fehlendes Halten bei Blaulichtfahrzeugen.
  • Verkehrsteilnehmende überfahren/überlaufen noch die rote Ampel.

Grundlagen für die Maßnahmenvorschläge

Anerkannten Empfehlungen zur (Um-) Gestaltung von Knotenpunkten oder Straßen für den Fuß- und Radverkehr sind bspw. die Hinweise zur Nahmobilität (FGSV 2014) oder die Tools for a walkable City (ITDP 2018).

Methodenbericht

Weitere Informationen sind dem Methodenbericht zu entnehmen.

Zusätzliche Informationen gibt es im Mobilikon des BBSR.

Weiterführende Literatur

Atteslander, P. (1975)

Methoden der empirischen Sozialforschung, Vierte Auflage, Sammlung Göschen de Gruyter, Berlin.


Boenke, D. (2013)

Merkmale barrierefreier Überquerungsstellen, In: Straßenverkehrstechnik (57), Heft 7/2013, S. 457–459.


Der Tagesspiegel (2018)

Gefahrenmelder-Karte: Das sind die größten Gefahren auf Berlins Straßen.

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FGSV – Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen e. V. (2014)

Hinweise zur Nahmobilität – Strategien zur Stärkung des nichtmotorisierten Verkehrs auf Quartiers- und Ortsteilebene. Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrsplanung, Arbeitsgruppe Verkehrsplanung (Hrsg.), Köln, 2014.


Fuss e. V. (o. J.)

Check-Liste für das Sicherheitsaudit von Straßen.

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ITDP – Institute for Transportation and Development Policy (2018)

Pedestrians First: Tools for a Walkable City vom 06.02.2018.

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Kodukula, S., Rudolph, F., Jansen, U., Amon, E. (2018)

Living. Moving. Breathing. Wuppertal: Wuppertal Institute.

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Laatz, W. (1993)

Empirische Methoden: Ein Lehrbuch für Sozialwissenschaftler, Verlag Harri Deutsch.


Mayntz, R., Holm, K., Hübner, P. (1972)

Einführung in die Methoden der empirischen Soziologie, Dritte Auflage, Westdeutscher Verlag, Opladen.


Milani Medeiros, R., Jammot-Paillet, Q. (2018)

Interrelating Bikeway Typology and Collisions Involving Motorized Vehicles and Bicycles in Berlin. Poster bei der International Cycling Conference 2017.

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Rosenthal, G. (2015)

Interpretative Sozialforschung. Eine Einführung. 5. Auflage. Beltz-Juventa Verlag, Weinheim und Basel.


Statistische Ämter des Bundes und der Länder (2021)

Unfallatlas Deutschland.

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UBA – Umweltbundesamt (Hrsg.) (2017)

Straßen und Plätze neu denken. Fachbroschüre.

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